„Geile Sache, aber nur ein Zwischenschritt“: Deutschlands Sitzvolleyballer gewinnen beim Heimspiel in Duisburg ein spannendes Finale gegen Kasachstan mit 3:1-Sätzen und qualifizieren sich als letztes Team für die Paralympics
Großer Jubel bei Deutschlands Sitzvolleyballern: Beim Qualifikationsturnier in Duisburg hat es das deutsche Team geschafft und sich 80 Tage vor der Eröffnungsfeier das letzte Ticket für die Paralympics in Tokio gesichert. In einem spannenden und umkämpften Finale setzte sich Deutschland am Ende verdient mit 3:1 (17:25, 25:13, 25:21 und 25:23) gegen Kasachstan durch.
Im Laufe des vierten Satzes erarbeitete sich das deutsche Team eine 18:10-Führung und war schon mit einem Bein im Flieger nach Tokio. Doch die Kasachen gaben sich noch nicht geschlagen, kämpften sich zurück und gingen sogar mit 23:22 in Führung. Das enge Spiel stand wieder auf der Kippe, Deutschland wackelte, fiel aber nicht um. Mit drei Punkten in Folge schnappte sich die Mannschaft von Michael Merten den Satz – und damit auch das Ticket nach Tokio. „Unser Traum ist in Erfüllung gegangen und wird Realität. Wir haben lange und hart dafür gearbeitet und uns jetzt belohnt. Wenn wir gleich das Ticket in den Händen halten, dann werden wir es schon ein Stück mehr realisieren – und feiern“, freute sich Kapitän Stefan Hähnlein vor der Siegerehrung.
Das war nichts für schwache Nerven. Die beiden bestens Teams des Turniers hatten sich für das Finale qualifiziert und die Ausgangslage war klar: Nur der Sieger darf zu den Paralympics nach Tokio. Deutschland, das in der ersten Gruppenphase mit 0:3-Sätzen gegen Kasachstan verloren hatte, erwischte zunächst einen Fehlstart und lag mit vier Punkten hinten. Die deutsche Mannschaft wirkte etwas nervös, blieb oft im gegnerischen Block hängen und hatte Schwierigkeiten mit der Abwehr der starken kasachischen Angriffe. Kasachstan spielte selbstbewusst und gewann den ersten Satz recht klar mit 25:17.
Doch wer nun dachte, das Spiel verliefe ähnlich wie die 0:3-Niederlage in der Gruppe, hatte sich getäuscht. Deutschland kam stark aus der Satzpause und setzte sich nach dem ersten technischen Timeout stetig ab und glich mit 25:13 nach Sätzen aus. „Wir haben vor dem zweiten Satz die Rotation geändert, das war glaube ich gut“, erklärte Michael Merten das deutsche Comeback. „Ich habe den Jungs gesagt, dass wir ruhiger werden müssen. Weniger Aggression und Power, mehr Ruhe und Kontrolle und unseren Matchplan weiter im Fokus haben.“
Dieser Plan ging auch im dritten Satz auf, denn die deutschen Herren ließen sich von einem 2:6-Rückstand nicht aus dem Konzept bringen. Sie arbeiteten sich wieder auf 13:13 heran und zogen mit einer starken Aktion von Heiko Wiesenthal vorbei. Nun war Deutschland nicht mehr zu stoppen und ging durch ein 25:21 in eine 2:1-Satzführung. Auch im vierten Durchgang schien das Spiel in deutscher Hand zu sein, das Team von Michael Merten war stetig einige Punkte in Front. Doch dann startete Kasachstan beim Stand von 18:10 noch einmal eine Aufholjagd. Bei 19:16 nahm Merten das Timeout, doch die Kasachen schafften den Ausgleich zum 21:21. Nun bewies die deutsche Mannschaft in der Crunchtime Nervenstärke. Mit purer Willenskraft entschieden sie den Durchgang mit 25:23 für sich – der Rest war purer Jubel.
Dominik Albrecht, der als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet wurde, war nach dem packenden Match einfach nur erleichtert. „Mir ist ein ganz großer Stein vom Herzen gefallen, es braucht etwas Zeit, bis die Freude herauskommt. Das war ein hartes Stück Arbeit“, sagte er sichtlich erschöpft. Auch Coach Michael Merten verspürte ein Wechselbad an Emotionen. „Einerseits ist da tiefe Freude und Erleichterung, andererseits bin ich einfach platt. Es ist sensationell, dass wir es nach diesem langen Weg geschafft haben“, berichtete Merten, der den Schlüssel zum Erfolg im deutlichen Gewinn des zweiten Satzes sieht: „Da haben wir gemerkt, dass wir einen Tick besser sind, wenn wir unsere Qualität voll abrufen. Die Kasachen haben sich nie geschlagen gegeben und bis zum Schluss an sich geglaubt. Wir mussten wirklich alles investieren – das macht den Sieg noch wertvoller.“
Nach Bronze bei der EM 2019 wollten die deutschen Sitzvolleyballer eigentlich schon Anfang 2020 um die Qualifikation für die Paralympics spielen und befanden sich bereits in den USA, wo das Turnier eigentlich stattfinden sollte. Dann kam die Corona-Pandemie, die Verschiebung der Spiele in Tokio und auch die Verschiebung des Qualifikationsturniers von Februar auf Juni, das nun in der Sportschule in Duisburg mit sechs teilnehmenden Teams ausgetragen wurde. 80 Tage vor Beginn der Paralympics hat das deutsche Team sich nun Klarheit erarbeitet und wird bei den Spielen dabei sein. Entsprechend richtet sich der Fokus nun voll auf Tokio. „Wir kennen bereits unsere Gruppe und treffen neben China und Brasilien mit dem Iran auf die beste Mannschaft der Welt. Wir wollen unter die ersten beiden Teams und dann um eine Top-Platzierung mitspielen“, sagte Merten mit Blick auf die Ziele für die Paralympics.
Routinier Jürgen Schrapp machte schon eine Ansage: „Es ist der Wahnsinn. Ich bin ja erst spät zur Mannschaft zurückgekommen, nachdem ich beruflich im Ausland war, aber ich bin einfach super glücklich, mit der Mannschaft nach Tokio zu fahren – es ist ein irres Team. Jetzt wollen wir mehr in Tokio“, kündigte er an.
Nach einer dreiwöchigen Pause starten die deutschen Sitzvolleyballer in die heiße Phase der Vorbereitung. „Wir waren hier in Duisburg voll gefordert und haben uns viel Wettkampfhärte geholt. Das kann ein kleiner Vorteil sein für Tokio“, erklärte Merten. Auch Dominik Albrecht hat bereits Tokio im Hinterkopf: „Wir haben schon jetzt eine sehr gute Basis, das ist sehr wertvoll für alles, was nun kommt. Wir werden weiter intensiv arbeiten und wollen bei den Paralympics unter die besten fünf Teams – und am liebsten eine Medaille.“
Die Sitzvolleyballer sind nach den beiden Rollstuhlbasketball-Teams der Damen und Herren sowie den Goalball-Herren die vierte Mannschaft, die bei den Spielen in Tokio dabei sein werden. Die Paralympics werden am 24. August eröffnet