Koalitionsvertrag, Corona-Pandemie und Paralympics: Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung blickt der Deutsche Behindertensportverband mit Hoffnung und Sorge auf die anstehenden Wochen und Monate
Barrierefreiheit, Teilhabe, Inklusion – der Deutsche Behindertensportverband (DBS) begrüßt ausdrücklich die für den Sport von Menschen mit Behinderung relevanten Inhalte im Koalitionsvertrag der designierten Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. „In dem Papier sind viele der Themen zu finden, die wir in der vergangenen Legislaturperiode sowie während der Koalitionsverhandlungen in die politische Diskussion hineingetragen haben. Die Grundlage ist damit vorhanden und es geht in eine gute und richtige Richtung, doch entscheidend ist natürlich die Umsetzung“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher vor dem internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember und fügt an: „Wir erwarten, dass der Koalitionsvertrag auch in der Praxis mit Leben gefüllt wird. Daran muss sich die künftige Bundesregierung messen lassen. Wir werden dies aufmerksam beobachten und bei Bedarf an die gesetzten Absichten und Ziele erinnern.“
Für den DBS und den Sport von Menschen mit Behinderung in Deutschland stellt der Koalitionsvertrag unter dem Titel „Mehr Fortschritt Wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ einen Meilenstein dar. So werden unter anderem die Wichtigkeit von Barrierefreiheit und Inklusion bei der Offensive für Investitionen in Sportstätten hervorgehoben, ebenso die besonderen Bedarfe des Behindertensports im Rahmen der Sportförderung. Gleichzeitig wird die Bedeutung des Ehrenamts sowie die Funktion des Sports für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und als Mittler für demokratische Werte betont. „Wir verbinden berechtigte Hoffnungen mit diesem Koalitionsvertrag. Bei konsequenter Umsetzung werden die Weichen für viele, in unseren Augen längst überfällige Themen gestellt, die die Situation von Menschen mit Behinderung im Sport und im Alltag in Zukunft spürbar und nachhaltig verbessern“, betont Beucher. So werde auch ein Bundesprogramm Barrierefreiheit in Aussicht gestellt. „Das ist ein sehr guter Ansatz, um unsere derzeitigen Aktivitäten in diesem Bereich auch in der kommenden Legislaturperiode aktiv in die Politik einzubringen“, sagt der DBS-Präsident.
Neben diesen hoffnungsvollen Perspektiven und den erfolgreichen Paralympics in Tokio, die für eine noch nie dagewesen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung für den Sport von Menschen mit Behinderung in Deutschland gesorgt haben, brachte das Jahr 2021 aber auch viel Schatten mit sich. Die Veröffentlichung des dritten Teilhabeberichts der Bundesregierung im Frühjahr vergrößerte die bereits vorhandenen Sorgenfalten, schließlich erhöhte sich die Anzahl der Menschen mit Behinderung, die keinen Sport treiben, innerhalb von vier Jahren von 46 auf 55 Prozent. Erhoben wurden diese Daten wohlgemerkt vor der Corona-Pandemie, die den Behindertensport in den vergangenen gut anderthalb Jahren besonders stark getroffen hat und für einen erheblichen Mitgliederrückgang sorgte. „Die Pandemie wirkt zusätzlich wie ein Brennglas und wirft uns in unseren Bemühungen für Teilhabe und Inklusion um Jahre zurück“, sagt Beucher und nimmt dabei Sport und Gesellschaft in die Pflicht: „Wir brauchen mehr wohnortnahe Angebote für Menschen mit Behinderung, wir brauchen mehr barrierefreie Sportstätten und wir brauchen mehr Übungsleiter*innen und Vereine, die sich für Menschen mit Behinderung öffnen. Wenn wir nicht massiv nachsteuern, verlieren wir die Menschen aus dem Sport. Und dann folgt auf die Corona-Pandemie die Pandemie der Nicht-Beweger im Behindertensport – mit allen weithin bekannten negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und Mobilität im Alltag.“
Von großer Bedeutung ist es da auch, den Nachwuchs für den Sport zu begeistern – mit Blick auf eine möglichst breite Basis wie auch auf die Spitze. Doch ein erneuter Shutdown des Sports im Zuge der Entwicklung der Corona-Pandemie würde insbesondere Kinder und Jugendliche mit Behinderung wieder verstärkt treffen. So wurde in Mecklenburg-Vorpommern als erstes und bisher einziges Bundesland bereits eine Aussetzung des Schulsports beschlossen. Katja Kliewer, Vorsitzende der Deutschen Behindertensportjugend, hält das für ein falsches Signal: „In vollem Verständnis für alle notwendigen Maßnahmen – der Kinder- und Jugendsport in Schule und Freizeit darf nicht wieder zum großen Verlierer werden.“ Dies führe zu weiterem Bewegungsmangel, ausbleibender motorischer Entwicklung und verstärktem Auftreten von Depressionen durch fehlende soziale Kontakte und persönliche Interaktionen.
Für den Deutschen Behindertensportverband sind Impfungen der Schlüssel, um die neuerliche Welle der Corona-Pandemie so unbeschadet wie möglich zu überstehen und künftig derart hohe Fall- und Todeszahlen zu verhindern. Angesichts der besorgniserregenden Fakten, der besonderen Schutzbedürftigkeit vieler Menschen mit Behinderung und der noch immer mangelnden Impfbereitschaft in Teilen der Bevölkerung appelliert DBS-Präsident Beucher an die gesellschaftliche Verantwortung und Solidarität jedes Einzelnen: „Lassen Sie sich impfen und schützen Sie damit sich selbst und auch andere. Nur gemeinsam können wir die Corona-Pandemie hinter uns lassen und unser aller Freiheit zurückgewinnen, um wieder unbeschwert Dinge zu tun, die wir lieben und die uns wichtig sind – zum Beispiel das Sporttreiben.“
Um den Weg von Menschen mit Behinderung in den Sport zu erleichtern, hat der DBS vor einem Jahr das viel nachgefragte Handbuch Behindertensport herausgebracht sowie im Februar diesen Jahres die millionenfach wahrgenommene neue Plattform www.parasport.de mit einem integrierten Para Sportarten-Finder. „Beide Projekte sind bedeutende Meilensteine und sollen nachhaltig dazu beitragen, dass mehr Menschen mit Behinderung zum Sport finden und mehr wohnortnahe Angebote in den Strukturen des Sports in Deutschland entstehen. Dafür muss die Wahrnehmung weiter erhöht und noch mehr Barrieren abgebaut werden – auch in den Köpfen“, sagt Friedhelm Julius Beucher.
Ein weiterer Lichtblick dürften da auch die Paralympics in Peking werden. Nur sechs Monate nach der Abschlussfeier in Tokio wird das paralympische Feuer wieder entfacht und der Fokus erneut verstärkt auf den Sport von Menschen mit Behinderung gerichtet sein. Vom 4. bis 13. März 2022 wird das Team Deutschland Paralympics bei den Winterspielen in China um Medaillen und Aufmerksamkeit kämpfen und dafür sorgen, dass die paralympische Bewegung weiter an Fahrt aufnimmt – verbunden mit der Hoffnung, dass der neuerliche Schwung nicht von der Corona-Pandemie abgebremst wird. Der Sport von Menschen mit Behinderung bewegt sich in diesen Tagen zwischen Licht und Schatten.