Fehlende Barrierefreiheit, ausbleibende Hilfsmittelversorgung, zu wenig Angebote – es gibt vielfältige Gründe, warum Menschen mit Behinderungen, die gerne Sport treiben würden, nicht sportlich aktiv sind. „Menschen mit Behinderungen sind besonders stark von Bewegungsmangel betroffen – nicht erst durch die Corona-Pandemie, die die Probleme jedoch weiter verstärkt hat. Noch immer werden Inklusion und Teilhabe in der Praxis erschwert oder gar verhindert und Menschen mit Behinderungen vom Sport ausgeschlossen“, sagte Präsident Friedhelm Julius Beucher beim Parlamentarischen Abend des Deutschen Behindertensportverbands beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband in Berlin. Die Veranstaltung in den Räumlichkeiten des langjährigen Partners fand erstmals seit über drei Jahren wieder statt und stand unter dem Motto #StarteDeinenWeg.
Alarmierend waren die Zahlen schon vor der Corona-Pandemie: Der dritte Teilhabebericht der Bundesregierung stellt fest, dass 55 Prozent der Menschen mit Behinderungen keinen Sport treiben – die Datenbasis dafür stammt aus dem Jahr 2017. Die Pandemie hat zudem für einen drastischen Mitgliederrückgang besonders im Sport von Menschen mit Behinderungen und mit chronischer Erkrankung gesorgt – mehr als 110.000 Mitglieder hat der Deutsche Behindertensportverband verloren. Das Motto #StarteDeinenWeg soll daher aufrütteln, den Blick nach vorne richten und einen Aufbruch verkünden. „Wir müssen jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sich die Bedingungen für Menschen mit Behinderung in unserem Land endlich verbessern – und damit auch im Sport“, rief Beucher den rund 150 Gästen des Parlamentarischen Abends zu.
In einer Talkrunde gemeinsam mit Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller und Para Leichtathlet Johanes Floors, die von ihren Wegen in den Para Sport berichteten, blickte der neue DBS-Generalsekretär Stefan Kiefer zunächst zurück. „2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. In diesen inzwischen 13 Jahren hat sich die Situation für Menschen mit Behinderungen im Sport zwar verbessert, doch unter dem Strich ist noch viel zu wenig passiert.“ Daher begrüßt der DBS das Engagement und die Anstrengungen des Deutschen Olympischen Sportbundes und weiterer Akteure aus Politik und Gesellschaft, den Sport in Deutschland zu stärken und einen Bewegungsgipfel ins Leben zu rufen. Kiefer: „Für den Sport von Menschen mit Behinderungen haben wir drei konkrete Erwartungen: Wir brauchen barrierefreie Sportstätten, verpflichtend bei Neubauten und Sanierungen. Wir brauchen eine unbürokratische und transparente Hilfsmittelversorgung. Es darf keine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben. Sportrollstühle, Sportprothesen und weitere Hilfsmittel zum Sporttreiben müssen für alle zugänglich sein. Dazu brauchen wir den Ausbau wohnortnaher und flächendeckender Sportangebote für Menschen mit Behinderungen sowie Vereine und Übungsleiter*innen, die sich öffnen.“ Der DBS werde dazu seinen Beitrag leisten und Projekte vorantreiben, die zu einer Verbesserung rund um den Sport von Menschen mit Behinderungen führen, wie bspw. das Handbuch Behindertensport, die Plattform www.parasport.de oder die Ausweitung von Blended-Learning-Programmen zur Digitalisierung von Bildungsmaßnahmen im Sport, um mehr Übungsleiter*innen für den Behindertensport zu gewinnen.
Sorgen bereitet auch der Rehabilitationssport. Durch den Bewegungsmangel und/oder eine Corona-Infektion haben viele Menschen chronische Erkrankungen und (drohende) Behinderungen entwickelt. Chancen liegen im breiten Angebot des Rehabilitationssports, der vielfältige Potenziale bietet. Bundesweit stehen über 100.000 Angebote im Rehabilitationssport zur Verfügung – rund 70 Prozent davon werden in den Strukturen des Deutschen Behindertensportverbandes durchgeführt. „Diese Angebotsstruktur muss auch künftig gewährleistet sein und erweitert werden. Wir erwarten, dass die Sozialversicherungsträger die Nöte und Ängste der Vereine im Zuge der Corona-Pandemie sowie mit Blick auf die weiteren großen Herausforderungen dieser Zeit erkennen und gute Entscheidungen treffen“, erklärte DBS-Präsident Beucher.
Mahmut Özdemir, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern und für Heimat, hob in seinem Grußwort die Bedeutung des Sports hervor: „Sport fördert Teilhabe und stärkt die Integration und die Inklusion. Mit dem Programm ,ReStart – Sport bewegt Deutschland‘ wollen wir den Sport zurück in die Mitte der Gesellschaft bringen und die Menschen wieder zurück in die Sportvereine“, sagte Özdemir, der zudem auf die Erfolge der vergangenen Paralympics in Tokio und Peking zurückblickte. „Die vielen gewonnenen Medaillen täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass dem Para Sport der Nachwuchs fehlt. Wir wollen auch künftig unseren Teil dazu beitragen, dass die Voraussetzungen gegeben sind, damit die Athlet*innen Deutschland bei Paralympics weiterhin erfolgreich vertreten können.“
Dazu muss der Para Sport in erster Linie noch präsenter werden. „Wunsch und Ziel ist es, dass jeder Mensch in Deutschland weiß, dass es den Para Sport gibt. Dafür braucht es noch mehr Berührungspunkte und weniger Zufall“, erklärte Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller. Johannes Floors schafft genau diese Berührungspunkte, wenn er Kindern und Jugendlichen mit Amputation erste Erfahrungen auf Sportprothesen beschert. „Die Sportprothese ermöglicht, den Bewegungsdrang ausleben zu können. Wenn man dann in die lächelnden Gesichter der Kids blickt und diese Freude sieht, ist das wahnsinnig emotional“, berichtete der Para Leichtathlet den zahlreichen Gästen unter denen sich auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, sowie viele Mitglieder des Bundestages und Vertreter*innen des Sports befanden. Gastgeber Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, zu dem bereits seit 2013 eine enge Partnerschaft besteht, sagte in seiner Begrüßung: „Wir unterstützen die Bestrebungen, Deutschland wieder in Bewegung zu bringen und die positive Kraft des Sports für unsere Gesellschaft zu nutzen. Auch dem Para Sport sollte die Bühne gegeben werden, die er verdient.“
DBS-Präsident Beucher appellierte an die Anwesenden des Parlamentarischen Abends: „Sport kann seine zweifellos positiven Aspekte nur dann entfalten, wenn er auch ausgeübt werden kann. Gemeinsam wollen wir Deutschland wieder in Bewegung bringen, insbesondere auch Menschen mit Behinderung. Dafür müssen wir als Gesellschaft auf allen Ebenen – ob in der Politik, bei Leistungsträgern sowie in den Strukturen des Gesundheitswesens und des Sports – die Voraussetzungen schaffen, damit wir Menschen mit Behinderung die Tür zum Sport deutlich weiter öffnen und den Zugang zum Sport so leicht wie möglich machen. Wir brauchen jetzt Lösungen – und keine Ausreden."