Dominik Albrecht ist Schlüsselspieler und Leistungsträger in der deutschen Sitzvolleyball-Nationalmannschaft. Bei den Weltmeisterschaften vom 4. bis 11. November in Sarajevo möchte er mit Deutschland möglichst um den Titel mitspielen. Auch privat erlebt Albrecht eine herausfordernde Zeit: Mit seiner Partnerin Kateryna führte er über zwei Jahre eine Fernbeziehung, bis der Krieg in der Ukraine das Leben der beiden veränderte.
Michael Merten bezeichnet Dominik Albrecht als Spieler, der den Unterschied ausmachen kann. An guten Tagen Weltklasse. Ein Spieler mit Nerven, der in engen Duellen für den entscheidenden Punkt sorgen kann. „In Top-Verfassung zählt Dominik im Angriff und Aufschlag zu den besten Spielern der Welt“, sagt der Bundestrainer über den Sitzvolleyballer des TSV Bayer Leverkusen.
2,10 Meter geballte Angriffswucht. „Oft sind die großen Spieler aufgrund ihrer Körperlänge im Vorteil“, erklärt Merten. „Was Dominik aber gegenüber anderen auszeichnet, ist nicht nur seine Athletik, sprich seine Schlaghärte und Aufschlaghöhe, sondern auch seine Technik.“ Seit 2010 spielt Albrecht im Nationalteam, zuvor vier Jahre lang in der Jugendnationalmannschaft. Um Sitzvolleyball professioneller ausüben und mehr trainieren zu können, zog der 35-Jährige 2011 sogar extra nach Leverkusen. Der Sport, sagt er, sei immer das Zugpferd gewesen.
Geboren in Bocholt, wuchs Albrecht erst in Hamminkeln und später in Rees-Haldern auf, wo er erstmals mit dem Behindertensport in Kontakt kam. „Mit 15 Jahren hatte ich meine ersten Knie-Operationen. Die Ärzte haben mir früh klargemacht, dass es mit Tennis und Fußball spielen nichts werden würde“, erinnert sich Albrecht, der aufgrund von Arthrosen diverse Bewegungseinschränkungen hat. „Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen.“ Einer seiner besten Freunde spielte seinerzeit Sitzball und nahm Albrecht mit. Bei der Behindertensport-Gemeinschaft Rees schmetterte Albrecht dann erfolgreich seine ersten Bälle – damit war der sportliche Weg geebnet.
Seit 2011 lebt, arbeitet und spielt der gelernte Metallbauer in Leverkusen. Nach seinem Umzug schloss er eine sportbegleitete Ausbildung für Athlet*innen zum Bürokaufmann an – unterstützt durch die Bayer AG und den TSV Bayer. Dreimal wöchentlich trainiert er zweieinhalb Stunden, vor Höhepunkten und Meisterschaften auch am Wochenende. „Individuell kann ich im athletischen Bereich unbegrenzt arbeiten, wenn es die Zeit zulässt“, sagt er. Der TSV Bayer, mit dem er zehn Mal deutscher Meister wurde, bietet ihm dafür beste Bedingungen.
Nach Kriegsausbruch in der Ukraine kamen seine Partnerin und ihre beiden Söhne nach Leverkusen
Zeit ist für Dominik Albrecht allerdings ein knappes Gut geworden. Der Krieg in der Ukraine hat sein Leben und das seiner Partnerin Kateryna Koziar unerwartet auf den Kopf gestellt. Das Paar ist seit gut drei Jahren fest liiert. Die 38-Jährige aus Dnipropetrowsk war selbst Sitzvolleyball-Nationalspielerin und spielte bis letzten Sommer in ihrer Heimat unter profiähnlichen Bedingungen. Beide führten eine feste Fernbeziehung – bis im Februar dieses Jahres der Krieg ausbrach. Albrecht setzte sofort alle Hebel in Bewegung, um Kateryna Koziar mit ihren beiden acht und elf Jahre alten Söhnen zu sich zu holen. Seit über einem halben Jahr leben die Drei nun bei ihm in Leverkusen. Über Nacht wurde aus einem Ein-Personen- ein Familienhaushalt. „Es funktioniert ganz gut. Die Kinder gehen in Leverkusen zur Schule. Kateryna trainiert bei uns mit und ist regelmäßig auch Trainingsgast der deutschen Nationalmannschaft“, beschreibt Albrecht, der mittlerweile als Verwaltungsangestellter bei der Bundespolizei arbeitet, die neue Lebenssituation.
Offiziell spielen darf Koziar allerdings nicht, die in Deutschland völlig andere Leistungsstandards erlebt. „In der Ukraine war Kateryna gewohnt, mindestens vier Mal wöchentlich zu trainieren, zwei Wochen im Monat war sie für den Sport unterwegs. Die Bedingungen dort sind sehr professionell, nicht vergleichbar mit unseren Möglichkeiten“, sagt Albrecht, der seiner Freundin großes Talent bescheinigt. „Sie kann viel besser als ich ein Spiel lesen und die Schwächen des Gegners erkennen und hat dann meist auch noch die richtige Lösung parat. In diesem Punkt kann ich viel von ihr lernen.“
Auch nach knapp 13 Jahren als Nationalspieler hat Albrecht seinen Ehrgeiz nicht verloren. Siege seien etwas Schönes, aber seine Leistung bemisst der 35-Jährige nicht allein an Ergebnissen. „Ich bin schon sehr kritisch mit mir selbst, versuche schnell meine Fehler zu reflektieren. Vielleicht weil man als Angreifer auch etwas mehr im Fokus steht“, entgegnet der Leverkusener, der stets für die Mannschaft denkt. „Für mich ist und bleibt es das absolut Beste, im Team gemeinsam etwas zu erreichen.“
Top-Leistungen und etwas Glück: "Vielleicht ist dann sogar das Finale drin"
Seit 2017 ist er Stammspieler im Nationalteam, bei den Paralympics in Tokio war Albrecht zum ersten Mal als Hauptangreifer im Einsatz – mit Höhen und Tiefen. „Dominik war der Spieler mit den meisten Assen, aber auch den meisten Aufschlagfehlern. Das beschreibt es gut“, sagt Merten. „Er kann Top-Leistungen abliefern, hat aber eben auch Ausreißer nach unten. Das ist ihm bewusst und daran arbeiten wir.“
Die nächste Gelegenheit bietet die Weltmeisterschaft in Sarajevo, wo Albrecht mit Deutschland in der Gruppe auf Polen, Kanada und Brasilien trifft. Ziel ist es, als Erster die K.o.-Runde zu erreichen, sagt Albrecht. „Wir wollen unsere stärkste Leistung aufs Feld bringen. Vielleicht ist dann sogar das Finale drin, aber dafür muss alles stimmen – wir brauchen auch ein bisschen Glück mit der Konstellation der Gegner. Wir sollten nicht zu früh auf Top-Nationen wie den Iran treffen.“ Den letzten Feinschliff für die WM holten sich Albrecht und seine Teamkollegen am Wochenende bei einem gemeinsamen Trainingslager mit der Ukraine in Leverkusen. An Allerheiligen fliegen beide Teams von Köln aus nach Sarajevo. „Dann muss erstmal Schluss sein mit der Freundschaft“, fügt Albrecht mit einem Augenzwinkern an.
Im Anschluss heißt das nächste große sportliche Ziel: Paralympics in Paris. Weiter plane er erst einmal nicht. „Ich kann mir schon vorstellen, danach weiterzuspielen, aber es kommt auf die privaten Umstände an. Ich habe immer gesagt: Wenn ich die Frau kennenlerne, mit der ich eine Familie gründen möchte, bin ich bereit, mich im Leistungssport einzuschränken.“
Aktuell gilt es, den Alltag zu viert abzustimmen. Das ist herausfordernd und nicht immer leicht, wie Albrecht zugibt. Was die Zukunft für ihn und seine Partnerin bereithält und wie es weitergeht, vermag er nicht vorherzusagen. Seine große Hoffnung ist, dass der Krieg sehr bald endet!
Text: Stefanie Bücheler-Sandmeier