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Mit einem fünfköpfigen Team ist das deutsche Para Ski alpin-Team am Dienstag ins katalanische Espot (Spanien) gereist. Dort finden ab Samstag die Weltmeisterschaften statt, bei der alle drei deutschen Damen sich berechtigte Medaillenhoffnungen machen dürfen. Neben Paralympics-Siegerin Anna-Lena Forster und Routinierin Andrea Rothfuss zählt dazu auch Anna-Maria Rieder, der sogar Felix Neureuther im vergangenen Jahr zu Paralympics-Bronze gratulierte.

Nach der tagfüllenden Anreise war Anna-Maria Rieder am Dienstagabend vor allem eins: müde. Von München war die 22-Jährige vom RSV Murnau nach Barcelona geflogen, von dort ging es per Bus dreieinhalb Stunden weiter ins katalanische Espot in den Pyrenäen. „Es war anstrengend, aber es gefällt mir hier“, sagt Rieder, die als Frühchen bereits nach der 25. Woche mit nur 722 Gramm auf die Welt kam und daher eine linksseitige Hemiparese hat, nach den ersten Eindrücken: „Bock habe ich, dass es losgeht – aber erst so richtig, wenn ich auf den Skiern stehe.“
 
Rieder, die vor etwas mehr als zehn Monaten mit Bronze im Slalom ihre erste Paralympics-Medaille gewonnen hat, möchte auch jetzt bei ihren schon vierten Para Ski Alpin-Weltmeisterschaften Edelmetall mitnehmen. 2017 hat es mit 16 Jahren auf Anhieb zu Bronze im Slalom gereicht, im vergangenen Jahr in Lillehammer wurde es in der Super-Kombination Rang drei. „Eine Medaille wär‘ scho schee. Aber es wird schwierig. Ich weiß nicht, wer alles da ist von der Konkurrenz“, sagt die Oberammergauerin, die in allen fünf Disziplinen an den Start gehen möchte und gewährt einen Einblick in ihre Gedanken: „Sich Weltmeisterin nennen zu dürfen, wäre das Optimum und das Beste. Aber vor allem will ich schnell Ski fahren, Spaß dabei haben und am Schluss schauen, was herauskommt.“
 
Die Ergebnisse der bisherigen beiden Weltcup-Stationen in St. Moritz (Schweiz) und Steinach am Brenner (Österreich) dürften sie jedenfalls optimistisch stimmen, wenngleich dort nicht die komplette Konkurrenz am Start war. Doch fünfmal Silber und eine Bronzemedaille in Slalom und Riesenslalom – jeweils hinter der schwedischen Dominatorin Ebba Årsjö – waren eine starke Ausbeute. Im letzten Riesenslalom in Steinach führte Rieder sogar nach dem ersten Lauf, dann wurde das Rennen aber wetterbedingt abgebrochen. „Ich bin ihr schon immer nähergekommen, aber sie ist auch nicht optimal gefahren, meinte sie. Ich will das nicht als Selbstverständlichkeit sehen, dass ich vor ihr sein kann, aber ich weiß, dass ich auch schnell bin und will mich nicht darauf ausruhen, weil ich es einmal geschafft habe“, sagt Rieder, die sich auch mit Teamkollegin Andrea Rothfuss immer heiße Duelle liefert und von dieser internen Konkurrenz profitiert: „Ich kann mich dauerhaft mit ihr vergleichen – im Training, im Rennen – um zu wissen: Wo stehe ich? Das ist cool und pusht mich schon, zumal ich von ihr noch was lernen kann, weil sie gerade im Speed mehr Erfahrung hat und mir bei den Besichtigungen Tipps gibt, wie ich ein Tor fahren soll.“
 
Neben Mikaela Shiffrin nennt Rieder, die schon mit zweieinhalb Jahren erstmals auf dem Ski stand und mit vier ihre ersten Rennen fuhr, die deutschen Athletinnen Lena Dürr und Kira Weidle als Vorbilder. Schließlich hat sie das „große Glück“, mit ihnen am Olympiastützpunkt in Garmisch trainieren zu dürfen, „im Sommer wie im Winter – und ich kann mir da viel abschauen, wie hart sie arbeiten. Und vor allem, dass ich Spaß habe an dem, was ich mache und jeder sein eigenes Ding machen soll.“

Rieder ist in ihrer Heimat Garmisch-Partenkirchen ein Paradebeispiel für Inklusion. Mutter Marion ist Skitrainerin, Vater Max arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Trainingswissenschaftler am OSP – deshalb gab es nach ihrer Paralympics-Medaille auch Glückwünsche von Felix Neureuther, der sie Zeit ihres Lebens schon kennt. Seit ihrem Abitur 2021 kann sich Rieder voll aufs Skifahren konzentrieren, weil sie mittlerweile der Sportfördergruppe des Zoll Skiteams sowie auch dem Paralympicskader (PAK) des Deutschen Behindertensportverbandes angehört.
 
Als Ausgleich wirkte sie von Mai bis Oktober – heimatverbunden wie sie ist – bei den Oberammergauer Passionsspielen im Volk mit, bevor die Vorbereitung auf die nach-paralympische Saison wieder startete, deren Höhepunkt nun die WM in Espot ist. „Sie ist stabiler geworden und hat Routine gewonnen“, sagt Bundestrainer Justus Wolf, der sie seit ihrem Start in der Nationalmannschaft 2015 coacht: „Klar, dass wir bei Anna-Maria oder auch Andrea Rothfuss mit der ein oder anderen Medaille liebäugeln dürfen.“
 
Medaillenziele bei den Frauen, Top 10-Platzierungen bei den Männern

Das sei aber auch davon abhängig, wer von der Konkurrenz am Start ist. Die Französin Marie Bochet verpasst die Saison wegen einer Operation an der Bandscheibe, die Russin Varvara Voronchikhina ist nach wie vor nicht startberechtigt und die chinesische Konkurrenz hat nach den erfolgreichen Heim-Paralympics aktuell anscheinend kein Team mehr – dafür sind aber beispielsweise die starken Kanadierinnen um Mollie Jepsen auch immer für Platzierungen auf dem Podium gut. Wolf rechnet sich neben der stehenden Klasse der Frauen vor allem für seine Vorzeige-Athletin Anna-Lena Forster, die in diesem Weltcup-Winter bislang alles gewonnen hat, beste Medaillenchancen aus: „Wir erwarten, dass Leni in allen Disziplinen vorne mitmischt.“ Für die beiden einbeinigen Skifahrer Christoph Glötzner und Leander Kress gibt Wolf nach dem letzten erfolgreichen Trainingslager in Südtirol zu Jahresbeginn die Top 10 in den technischen Disziplinen als Ziel aus.
 
Die Rennen starten am Samstag mit der Abfahrt, am Sonntag findet der Super-G statt, am Dienstag die Super-Kombination, am Mittwoch (Frauen) und Donnerstag (Männer) der Riesenslalom und am Freitag (Frauen) und Samstag (Männer) der Slalom. Zum Abschluss wartet am 29. Januar ein Parallel-Slalom-Event. Die größte Sorge im Vorfeld – dass es möglicherweise zu wenig Schnee geben wird – kann Bundestrainer Wolf entkräften. Im Gegenteil: „Schnee ist hier gesichert. Seit wir am Montag angekommen sind, hat es geschneit, es wird eher zu viel Neuschnee sein.“

Weitere Informationen rund um die WM und Ergebnisse gibt es auf der Webseite des internationalen Verbandes. 

Der deutsche Kader der Para Ski alpin-WM in Espot (Spanien):
Andrea Rothfuss (33, Freudenstadt, VSG Mitteltal), Anna-Lena Forster (27, Singen, BRSV Radolfzell), Anna-Maria Rieder (22, Garmisch-Partenkirchen, RSV Murnau), Christoph Glötzner (19, Neumarkt in der Oberpfalz, RBA im ASV 1860 Neumarkt), Leander Kress (21, Friedberg, TSV Friedberg).

Text: Nico Feißt / DBS