Ein Titelverteidiger, viele Neuerungen und über allem der große Wunsch nach der Rückkehr zu den Paralympics – für die deutschen Segler wird die Weltmeisterschaft während der Kieler Woche nicht nur wegen des bekannten Reviers besonders
Frechen, 16. Juni 2017. „In erster Linie geht es bei der WM darum, präsent zu sein und zu zeigen, dass Segeln wieder paralympisch werden muss“, sagt Lasse Klötzing, der bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr im Dreimann-Kielboot Sonar mit Jens Kroker und Siegmund Mainka Fünfter geworden war. Damals folgten wenige Monate später die Paralympics – und die Wettkämpfe am Zuckerhut waren die vorerst letzten der Para Segler bei den Spielen. In diesem Jahr findet die WM vom 20. bis 25. Juni während der Kieler Woche in Deutschland statt – und im Fokus steht neben dem Kampf um Medaillen besonders die Zukunft der Sportart.
Nachdem Para Segeln für 2020 aus dem paralympischen Programm gestrichen worden war, legte der Internationale Segel-Verband einen Strategieplan 2017-2020 vor, wie die Wiedereingliederung gelingen kann. Der Hauptpunkt: Mindestens 32 Nationen aus drei Kontinenten sollen am Wettbewerb teilnehmen – das war in der Vergangenheit nicht gegeben. Wenn Lasse Klötzing sich die Meldeliste anschaut, ist er positiv überrascht: „47 Teilnehmer sind es in meiner Klasse, das ist ein großes, normales Feld.“ Die Veranstalter der Kieler Woche teilten mit, dass mehr als 80 Sportler aus über 40 Nationen kommen, darunter auch viele Länder, die bislang kaum Bezug zum paralympischen Segeln hatten.
Lasse Klötzing: Die Mona Lisa ins Wasser gemalt
Klötzing war vier Monate vor Rio aufgrund eines Krankheitsfalls in den Sonar gewechselt und ist nun wieder zurück im Einer: „Ich habe mich sofort wieder wohlgefühlt. Ich will nicht sagen, dass es entspannter war, aber in dem Boot habe ich einfach viel mehr Trainingsstunden.“ Ein Top-Ten-Platz wäre für ihn wünschenswert, nachdem der 25-Jährige 2015 bei seiner letzten Teilnahme im 2.4mR Achter geworden war. „Mit diesem Ergebnis wäre ich bei ihm sehr zufrieden, weil Lasse in letzter Zeit sehr stark ins Studium eingebunden war“, sagt Nationaltrainer Bernd Zirkelbach über den Maschinenbau-Studenten, der schon mit sechs Jahren im Opti mit dem Segeln begonnen hatte.
Wie alle anderen deutschen Segler kennt Klötzing die Kieler Förde gut – vor allem, weil er dort oft mit dem Nationalteam trainiert und 2014 medienwirksam eine bislang einmalige Aktion gebracht hat. Der gebürtige Berliner verband in rund 60 Kilometern und 88 Etappen mit einem Katamaran insgesamt 271 Navigationspunkte, sodass diese ähnlich wie bei Malen-nach-Zahlen am Ende virtuell die weltberühmte Mona Lisa darstellten. Das Gemälde von Leonardo da Vinci hatte er damals mit drei nichtbehinderten Crew-Mitgliedern absolviert, ein Beweis, dass Segeln wie kaum eine andere Sportart für Inklusion steht. „Von außen sieht man auch nicht, ob ein Segler eine Behinderung hat oder nicht. Theoretisch kann sich jeder in das Boot reinsetzen und segeln, ich habe durch meine Behinderung nur ein paar Adaptionen oder Gimmicks, die mir das Ganze erleichtern“, sagt Klötzing, der mit 25 Jahren der jüngste deutsche Teilnehmer ist.
Heiko Krögers Hoffnung auf die Titelverteidigung, Jens Kroker will überraschen
Nationaltrainer Zirkelbach, der das Team mit Christian Bittner betreut, erwartet von seinen Seglern gute Ergebnisse, sagt aber auch: „Es wird sehr spannend werden, wie die anderen Nationen drauf sind, vor allem, weil nach den Paralympics viele aufgehört haben.“ Bei Heiko Kröger, aktueller Weltmeister im 2.4mR, hofft Zirkelbach auf einen Platz auf dem Treppchen, wenngleich der Paralympics-Sieger von 2000 und Silbermedaillengewinner von 2012 nach den mit einem sechsten Platz enttäuschend verlaufenden Paralympics in Rio bekanntgegeben hatte, künftig weniger Wassertage haben zu wollen. In seinem Heimat-Revier Kiel wird er auf die gesamte Welt-Elite treffen.
Bernd Leopold Käther und Mathias Kortke malt Zirkelbach ebenfalls gute Chancen aus: „Mathias Kortke ist schon lange dabei und hat das Zeug für das vordere Drittel. Bernd Leopold Käther ist ein sehr erfahrener Segler und hat jetzt nach einem Schlaganfall wieder die Freude am Segelsport entdeckt.“
Die große Überraschung in Kiel dürfte aus deutscher Sicht Jens Kroker werden, der 2008 Paralympics-Sieger im Sonar war und 2000 und 2012 Silber geholt hatte. Er wird bei der WM in der Hansa303 starten, neben der Weta eine von zwei neuen Bootsklassen im Strategieplan, nachdem der Sonar möglicherweise nicht mehr zukunftsfähig sein wird im Wettkampfprogramm. „Wir haben extra spontan ein Boot angemietet, nachdem wir erst die Weta wollten“, erklärt Zirkelbach die plötzliche Umstellung, „Jens Kroker ist schon viele Boote gesegelt, daher setzen wir da voll auf seine Erfahrung, ohne zu wissen, was andere Nationen für Performances liefern können und was uns erwartet.“
Denn auch wenn Segeln 2020 erstmal nicht mehr im Paralympics-Programm ist, sieht Zirkelbach die WM schon als erste Möglichkeit, für 2024 neue Dinge auszuprobieren. „Diese Testphase brauchen wir auch, da wir wissen müssen, welche zwei Bootsklassen für Deutschland künftig relevant sind. Drei erachte ich finanziell gesehen als nicht möglich.“ Es dürfte also gleich aus mehreren Gründen spannend werden bei den Weltmeisterschaften im Para Segeln während der Kieler Woche.
Quelle: Nico Feißt