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Para Radsport-WM: Polizist Matthias Schindler hat in dieser Saison seinen ersten Weltcup-Sieg im Zeitfahren gefeiert, 2020 will er bei den Paralympics an den Start gehen

Foto: Oliver Kremer, sports.pixolli.comMatthias Schindler ist Polizist. Seit einer Operation im Februar 2011 zur Entfernung eines Rückenmarktumors ist er inkomplett querschnittsgelähmt. In seiner Jugend eher dem Fußball zugetan, entdeckte Schindler den Para Radsport für sich und nahm 2013 an ersten Rennen teil. Er tritt in der Klasse C3 an und arbeitet weiterhin im Innendienst bei der bayerischen Polizei.

2014 feierte Schindler seine WM-Premiere und nahm in den folgenden Jahren an Weltmeisterschaften sowohl auf der Bahn als auch auf der Straße teil. Seit 2015 werden Schindlers Trainingspläne von Hendrik Werner erstellt, der unter anderem auch Tom Dumoulin, den Sieger des Giro d’Italia 2017, betreut. „Ich habe vollstes Vertrauen zu ihm, auch weil ich sehen kann, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat.“

Schindler hat sich auf das Zeitfahren spezialisiert. „Meine Beine sind taub, ich habe keine Rückmeldung ans Gehirn“, erklärt der 37-jährige Regensburger. „Wenn ich nicht sehen kann, was meine Beine machen, weiß ich es nicht. Dazu kommt, dass ich erst relativ spät mit dem Radsport angefangen habe und nie als Jugendlicher gelernt habe, wie man sich in einem Feld bewegt. Darum habe ich mir das Zeitfahren ausgesucht, dabei muss ich nicht auf andere achten und kann mich auf meine eigene Leistung und Beinstellung konzentrieren.“ Außerdem sei im Zeitfahren die Leistungsverbesserung gut messbar und berechenbar. „Das kommt mir entgegen“, sagt Schindler.

Nach der Saison 2018 beschloss er, sich nur noch auf die Wettkämpfe auf der Straße zu konzentrieren. Schindler hatte bei der Bahn-WM 2018 in Rio einen neuen deutschen Rekord über 3000 Meter aufgestellt, doch insgesamt war die Doppelbelastung zu viel: „Letztes Jahr war ich 150 Tage unterwegs, das hat einfach sehr geschlaucht. Selbst wenn ich zwischendurch zwei Tage zu Hause war, hatte ich keine Zeit für mich, meine Frau, meine Familie oder meine Freunde. Da ist weniger manchmal mehr. Ich betreibe Leistungssport, das geht nicht nebenbei, aber es ist wichtig, die richtige Balance zu finden und Energie für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu haben.“

Neben Beruf und Sport hat Schindler ein Fernstudium zum Ernährungsberater abgeschlossen, was ihm auch im Sport weiterhilft. Er gehört dem Top Team des Deutschen Behindertensportverbandes an, ist A-Kader-Athlet und zudem Teil des Spitzensportförderungsprogramms des Freistaats Bayern, darüber hinaus hat er einige persönliche Sponsoren und Ausrüster. „Ich habe früh begriffen, dass es ohne die Unterstützung von Partnern und Sponsoren nicht geht. Ich bin allen sehr dankbar.“

Wie viele Zeitfahrer versucht auch Schindler, sein Zeitfahrrad immer noch weiter zu optimieren: „Wenn ich mir am Start bewusst bin, dass ich wirklich an allen Stellschrauben gedreht habe und die Maschine aufs Letzte ausgereizt ist, gibt das Selbstvertrauen. Ich weiß dann, am Rad wird es nicht liegen, das ist ein zusätzlicher Push.“

Für die Saison 2019 war klar: „Tokio ist das Ziel, ich möchte das Ticket zu den Paralympics lösen. Dafür habe ich mich rein aufs Zeitfahren konzentriert und war so stark wie noch nie.“ Beim Weltcup in Ostende im Mai gewann der 37-Jährige sogar das Zeitfahren, doch im Juli folgte ein Rückschlag: Der Regensburger erlitt einen Syndesmosebandriss. Bei einer Operation wäre Schindlers Saison beendet gewesen – und damit die Tür nach Tokio zu. Daher entschied er sich für eine konservative Behandlung – und im August ging es tatsächlich wieder in den Wettkampf. Beim letzten Weltcup-Rennen der Saison im kanadischen Baie-Comeau wurde er Fünfter und blickt jetzt auf die Weltmeisterschaft in Emmen.

„Nach der Verletzung dachte ich, jetzt erst recht. Das Sprunggelenk hält und behindert mich nicht beim Radfahren, ich werde versuchen, das Beste aus der Situation herauszuholen. Auf jeden Fall werde ich sehr leistungsfähig an den Start gehen und dann sehen, was möglich ist“, erklärt Schindler und fügt hinzu: „Das Level in meiner Klasse ist sehr hoch, mein Teamkollege Steffen Warias und ich pushen uns gegenseitig und hoffen, dass wir vielleicht zu zweit nach Tokio fahren können. Ich bin gespannt auf die WM in Emmen, das wird das wichtigste Rennen der letzten sieben Jahre.“

Schindler ist zuversichtlich, es zu den Paralympics zu schaffen, aber gleichzeitig nicht verbissen. „Ich will sagen können, dass ich alles gegeben habe. Das ist für mich das Wichtigste. Am Ende zählt das Ergebnis, und wenn es da Bessere gibt, ich aber weiß, dass ich alles aus mir herausgeholt habe, dann ist das für mich keine Niederlage.“

 

Mit insgesamt 22 Athleten zur WM

Bei der Weltmeisterschaft in Emmen (Niederlande) vom 11. bis 15. September ist Schindler Teil einer starken deutschen Mannschaft. Insgesamt gehen 22 Radsportlerinnen und Radsportler in den deutschen Farben an den Start – von der 48-jährigen Andrea Eskau, die bereits an unzähligen Weltmeisterschaften und sechs Paralympics teilgenommen hat, bis zu Maximilian Jäger, der mit 19 Jahren zu seiner ersten Para Radsport-WM fährt.

Hans-Peter Durst, Andrea Eskau, Vico Merklein, Michael Teuber und Steffen Warias gewannen alle 2016 in Rio paralympisches Gold und wollen in Emmen die Weichen stellen, um nächstes Jahr in Tokio ihre Goldmedaillen zu verteidigen. Mit im Team sind auch einige „Quereinsteiger“ aus anderen Disziplinen: Maike Hausberger nahm als Leichtathletin schon an zwei Paralympics teil und war auch als Triathletin aktiv. Annika Zeyen war erfolgreich im Rollstuhlbasketball und im Rennrollstuhl, bevor sie zum Para Radsport wechselte, auch Drazen Boric kann auf eine lange Karriere im Rennrollstuhl zurückblicken, ist jetzt aber als Handbiker am Start.

„Mein Ziel ist ein Platz unter den besten fünf im Nationenranking“, ist Bundestrainer Tobias Bachsteffel zuversichtlich. „Das wäre eine Verbesserung im Vergleich zu den letzten Jahren. Unsere etablierten Leistungsträger werden performen, und auch die, die jetzt nachgekommen sind, sind in ihren Klassen weit vorne dabei.“ Die Entsendung der Mannschaft wird durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert.

Quelle: Lukas Knöfler

 

Das deutsche Team für die WM in Emmen:
Andrea Eskau (48 / USC Magdeburg / Apolda), Kerstin Brachtendorf (47 / BPRSV Cottbus / Mendig), Jana Majunke (29 / BPRSV Cottbus / Cottbus), Hans-Peter Durst (61 / RuMC 1925 Sturm Hombruch Dortmund / Kaufbeuren), Mariusz Frankowski (27 / TV Waldstraße Wiesbaden / Neustadt), Bernd Jeffré (55 / Gymnastik-Club 1965 Nendorf e.V. / Kiel), Steffen Warias (34 / BSV München / Tübingen), Vico Merklein (42 / Gymnastik-Club 1965 Nendorf e.V. / Berlin), Tim Kleinwächter (30 / Herrmann Radteam / Ochsenfurt), Erich Winkler (51 / TV Geisenhausen / Neumarkt St. Veit), Drazen Boric (49 / SC Union Nettetal / Dortmund), Peter Renner (32 / Herrmann Radteam / Fürth), Denise Schindler (33 / BPRSV Cottbus / Chemnitz), Matthias Schindler (37 / BSV München / Regensburg), Pierre Senska (31 / BPRSV Cottbus / Berlin), Michael Teuber (51 / BSV München / Tegernsee), Tobias Vetter (37 / BSV München / Gera), Johannes Herter (36 / Bielefeld / Lemgo), Maike Hausberger (24 / Postsportverein Trier / Trier), Maximilian Jäger (19 / SV Germering ), Annika Zeyen (34 / SSF Bonn / Bonn), Angelika Droeck Käser (52 / BPRSV Cottbus)

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