Start der Weltcup-Saison für die deutsche Para Ski nordisch Nationalmannschaft in Lillehammer
Die deutschen Para Skilangläufer und Para Biathleten fiebern dem Weltcup-Start am 12. Dezember in Lillehammer (Norwegen) entgegen. Dann wird sich zweierlei zeigen: Was war die Arbeit des Sommers wert? Und wie stark kehrt Russland nach Aufhebung der kollektiven Dopingsperre in den Rennzirkus zurück? Eine Übersicht über die individuellen Saisonerwartungen.
Über ungünstige Bedingungen vor dem Saisonstart konnten sich die deutschen Para Skilangläufer und Para Biathleten nicht beschweren. Von reichlich Schnee gesegnet, gaben sie im finalen Höhentrainingslager im norditalienischen Livigno noch einmal alles, um fit zu sein für Lillehammer. Im Austragungsort der Olympischen und Paralympischen Spiele 1994 steigen vom 12. bis 19. Dezember die ersten sechs Rennen des Weltcup-Winters 2019/2020. „Alles in allem stehen wir gut im Saft“, sagt der Bundestrainer Ralf Rombach vor dem ersten Kräftemessen der neuen Saison.
Rombachs Erwartungen sind dennoch vorsichtig. Das liegt an einer großen Unbekannten. Die russische Mannschaft, die vor ihrer Kollektivsperre wegen Verstößen gegen Anti-Doping-Bestimmungen die Para Ski nordisch-Welt dominierte, kehrt nach dreijähriger Abstinenz ins Geschehen zurück.
Das Internationale Paralympische Komitee hob seine im Sommer 2016 verhängten Sanktionen in diesem März auf. Die Entscheidung der World Anti-Doping Agency (WADA) vom Montag hat darauf zunächst keinen Einfluss. Der Bundestrainer rechnet mit einem starken Aufgebot, sowohl quantitativ als auch qualitativ. „Die russischen Starterinnen und Starter werden sehr wahrscheinlich wieder das Tempo vorgeben“, sagt Rombach.
Nach Lillehammer folgen im neuen Jahr zwei Weltcups in Deutschland. Vom 11. bis 19. Januar 2020 sind Dresden und Altenberg Gastgeber, vom 1. bis 8. Februar 2020 geht es in den Bayerischen Wald nach Finsterau, wo 2017 die Weltmeisterschaften stattfanden. Das Weltcup-Finale folgt vom 17. bis 22. März im schwedischen Östersund, wo es zuvor noch ein besonderes Schmankerl dieser Saison geben wird: die Para Biathlon-Weltmeisterschaft, eine attraktive Neuheit im Wettkampfkalender.
Ehler will vor allem Spaß haben
Die Qualifikation für diese WM ist das große Ziel der Biathlon-Spezialisten im Nationalkader, unter ihnen Alexander Ehler (SV Kirchzarten). Der Emmendinger zählt zu den schnellsten Schützen im weltweiten Feld der stehenden Konkurrenz, mit der Konstanz am Schießstand haderte er im vergangenen Winter jedoch zuweilen. „Alex trainiert eisern. Ich hoffe, er kann noch etwas mehr aus seinen Möglichkeiten machen“, sagt Ralf Rombach. Der 50-jährige Team-Oldie selbst will vor allem Spaß haben. „Ich bin gespannt, wie lange ich unter den ganzen Jungen noch mithalten kann“, sagt Ehler lachend.
Nicht in Lillehammer dabei ist Andrea Eskau (USC Magdeburg). Die 48-Jährige aus Elsdorf trainierte wie geplant länger als der Rest der Mannschaft individuell in Livigno. Den Blick hat die Allrounderin, die bei den Para-Radsport-Weltmeisterschaften 2019 Doppel-Gold im Handbike holte, gen Tokio gerichtet, auf die Paralympischen Sommerspiele im kommenden Jahr. Die Wettkämpfe des Winters im Para Skilanglauf und Para Biathlon sind ein fester Baustein in ihrem Vorbereitungsplan auf Japan. Die Teilnahme am Langlauf-Sprint von Dresden im Rahmen des FIS-Weltcups am 11. und 12. Januar ist ihr erstes Ziel.
Heiß auf den Auftakt in Norwegen ist dagegen Martin Fleig (Ring der Körperbehinderten Freiburg), der vor allem gespannt ist, wie sich sein veränderter Trainingsplan auf die Leistung in den Rennen auswirken wird. Zuletzt feilte der 30-jährige Gundelfinger an seiner Schnellkraft. „Martin ist sehr stabil und arbeitet akribisch“, lobt Ralf Rombach. Die starke Konkurrenz treibt Fleig an. 2019 holte er bei der WM in Prince George (Kanada) zweimal Gold und zweimal Silber. „An die Erfolge möchte ich versuchen anzuknüpfen. Leicht wird das aber nicht“, sagt er.
Vivian Hösch ist zurück
Der zweite deutsche Starter bei den Männern in der sitzenden Konkurrenz, Patrik Fogarasi, tritt die Reise nach Norwegen wie Andrea Eskau nicht an. Der 44-Jährige, der für den SV Kirchzarten und den WSC Oberwiesenthal startet, fiebert vielmehr dem Januar entgegen. Der Frankenberger will bei seinem Heim-Weltcup in Sachsen zeigen, was er drauf hat. „Darauf bereitet er sich gezielt vor“, sagt der Bundestrainer, der hofft, dass Fogarasi dann die Abstände zur Weltspitze verringern kann.
Zurück in der Mannschaft ist Vivian Hösch (SV Kirchzarten), die nach den Paralympischen Spielen 2018 in PyeongChang (Südkorea) eigentlich einen Schlussstrich unter ihre Karriere gezogen hatte, dann aber neues Feuer fang. Ihre Auszeit hat der 28-Jährigen offenbar gut getan. „Sie läuft auf einem anderen Niveau als vor zwei Jahren“, berichtet Ralf Rombach. Das Gefühl teilt er mit Hösch, die ihren Trainingsschwerpunkt auf die Technik legte. „Ich hoffe, dass ich das auch im Wettkampf zeigen kann“, sagt sie. Als Guide steht ihr der erfahrene Florian Grimm (SSV Niedersonthofen) zur Seite, der 2010 bei den Paralympics von Vancouver als Begleitläufer von Willi Brem Gold im Biathlon über 12,5 Kilometer holte.
Zur Riege der Talente aus dem Bereich des Nachwuchs-Bundestrainers Michael Huhn zählt Ekaterina Kauffmann (SV Kirchzarten), die am Samstag nach Lillehammer nachreist. Die 15-Jährige konnte in diesem Sommer wegen Problemen mit ihrer Prothese häufig nur unter Schmerzen trainieren. „Deshalb habe ich auch keine so hohen Erwartungen“, sagt sie. Eine neue Orthese soll ihr einen beschwerdefreien Start ermöglichen. Wie Alexander Ehler zählt Ekaterina Kauffmann zu den Schnellschützen. „Ihr fehlt aber natürlich noch ein wenig Routine“, berichtet Bundestrainer Rombach.
Die Dreifach-Weltmeisterin ist gespannt
Gespannt auf die wiederkehrende russische Konkurrenz sind auch Clara Klug (PSV München) und ihr Guide Martin Härtl. Das Team Klug/Härtl hat im Winter 2018/2919 die Klasse der Frauen mit Sehbeeinträchtigung im Biathlon fast nach Belieben dominiert und dreimal WM-Gold geholt. Nun dürfte das schwerer werden, zumal Klug einen ereignisreichen Sommer hinter sich hat. Ein Umzug und berufliche Veränderungen haben beim Neu-Mitglied der Spitzensportfördergruppe der Bayerischen Bereitschaftspolizei Spuren hinterlassen, was Klugs guter Laune keinen Abbruch tut. „Die Karten werden neu gemischt. Ich freue mich drauf“, sagt sie. In Lillehammer steigt das Team Klug/Härtl zu den Biathlon-Rennen ein.
Eine berufliche Veränderung gab es auch bei Steffen Lehmker (WSV Clausthal-Zellerfeld), der sein Referendariat begonnen hat und deswegen sportlich in diesem Winter kürzer treten wird. Zumindest einen Start bei den Langlauf-Wettkämpfen von Dresden und Altenberg hat sich der 30-Jährige aber fest vorgenommen – und eine vollständige Rückkehr im Winter 2020/2021.
Ein anderer Deutscher in der stehenden Konkurrenz ist dagegen in Lillehammer am Start: Marco Maier (SV Kirchzarten) knabberte in der Vorbereitung immer wieder an Rückenproblemen und handelte sich einen Bandscheibenvorfall ein, will sich davon aber nicht völlig außer Gefecht setzen lassen. „Ich schaue von Wettkampf zu Wettkampf und werde in mich hineinhören, was möglich ist“, sagt der Allgäuer. Ralf Rombach ist mit der läuferischen Entwicklung Maiers zufrieden. „Er kann seine guten Trainingsleistungen beim Schießen leider nur noch nicht richtig aufs Rennen übertragen. Daran gilt es zu arbeiten.“
Die neuen Guides überzeugen
„Die Wettkämpfe genießen und möglichst viel Erfahrung sammeln“, hat Merle Menje (StTV Singen) zu ihrem persönlichen Saisonziel erklärt. Die 15-jährige Gottmadingerin hat in ihrem Rennrollstuhl bei den Junioren-Weltmeisterschaften in der Para Leichtathletik in diesem Sommer in Nottwil (Schweiz) einmal Gold und einmal Silber geholt. Als Wandlerin zwischen den Sportarten soll sie anderen Nachwuchsathleten ein Vorbild sein. Im Winter gilt ihre Konzentration dem Para Skilanglauf.
Das Trainingslager in Livigno vorzeitig beenden musste Nico Messinger (Ring der Körperbehinderten Freiburg). Der 24-Jährige fing sich einen Infekt ein. „Ich bin noch nicht wieder zu 100 Prozent fit. Mal sehen, wie viele Starts in Lillehammer möglich sind“, sagt er. Trotz des Rückschlags rechnet Ralf Rombach damit, dass Messinger sich stärker und stabiler zeigen wird als in den vergangenen Jahren. Die Zusammenarbeit mit dem neuen Guide Robin Wunderle (SC Todtnau) mache sich positiv bemerkbar. Allerdings: Auch bei den Männern mit Sehbeeinträchtigung drängen Russlands Starter ins Feld zurück. „Nicos Leistung könnten sich in den Platzierungen nicht immer niederschlagen“, befürchtet der Bundestrainer.
Ebenfalls mit neuem Guide unterwegs ist Johanna Recktenwald (Biathlon-Team Saarland). Die 18-Jährige hat in den vergangenen Monaten konsequent und konzentriert mit ihrem Vereinskollegen Jean-Luc Diehl geackert. Einige Trainingsstürze bremsten sie zuletzt jedoch etwas aus, dazu wirft das bevorstehende Abitur seine Schatten voraus. „Ich möchte meine Trainingsleistungen im Wettkampf umsetzen. Das ist wichtiger als die Platzierung“, sagt die Marpingerin angesichts der zu erwartenden starken Konkurrenz. Ralf Rombach sieht das genauso. „Man darf nicht vergessen, dass Johanna die Trainingsjüngste im Kader ist."
Neuling und Routinier ohne Druck
Druck auf Recktenwald kommt auch aus dem eigenen Team. Die 15-jährige Leonie Walter (SC St. Peter) präsentiert sich äußerst unbekümmert. Von Nervosität ist vor ihrem dritten Auftritt bei einem Weltcup nichts zu spüren. Stattdessen strahlt sie die pure Vorfreude aus. „Leonie bringt sehr viel mit und kann sich schinden“, sagt der Bundestrainer. Auch für die Schülerin aus dem Hochschwarzwald geht es in Lillehammer darum, weitere Erfahrung zu sammeln. Als Guide dabei ist Frank Wagner (TSG Reutlingen), der als Lehrer an Leonie Walters Schule arbeitet, dem Staatlichen SBBZ Sehen St. Michael in Waldkirch.
Seine Premiere bei einem Weltcup feiert Maximilian Weidner (WSV-DJK Rastbüchl). Der 29-Jährige aus dem niederbayerischen Neureichenau ist erst seit diesem Jahr Teil des Nordic Paraski Teams Deutschland und startet in der stehenden Konkurrenz. Für den reinen Langläufer ist der Weltcup von Finsterau im Februar der große Saisonhöhepunkt – er findet praktisch vor seiner Haustür statt. In Norwegen soll Weidner nach Vorstellung von Ralf Rombach vorerst nur reinschnuppern, ohne sich allzu großen Druck zu machen. Die Vorgabe des Bundestrainers an den Debütanten lautet schlicht: „Das Beste rausholen.“
Keinen Druck – dieses Schlagwort passt auch auf Anja Wicker (MTV Stuttgart). Die 27-Jährige hat sich jedenfalls „keine konkreten Ziele“ gesetzt, wie sie sagt: „Die vergangenen beiden Jahre waren schwierig für mich. Mein Körper hat nicht richtig mitgespielt. Jetzt hoffe ich, dass er mich meine Leistung bringen lässt.“ Zur Leistungssteigerung beitragen soll eine Änderung der Rennstrategie. „Anja soll künftig mehr über die Frequenz kommen“, sagt Ralf Rombach und stellt fest: „Im Training hat sie einen guten Eindruck gemacht.“
Wie viel dieser Eindruck bei der Stuttgarterin und bei allen anderen wert ist, zeigt sich von Donnerstag an. „Die Vorbereitung war wie immer lang. Jetzt ist es Zeit, dass es losgeht“, sagt Wicker stellvertretend für das gesamte Team. Lillehammer wollen sich die deutschen Para Skilangläufer und Para Biathleten in jedem Fall genau anschauen. 2021 finden in Norwegen die kombinierten Para Schneesport Weltmeisterschaften statt, gemeinsam mit Para Ski alpin und Para Snowboard.
Quelle: Ben Schieler