Para Tischtennisspieler Yannik Rüddenklau will zu den Paralympics – sollte es mit Tokio 2021 noch nicht klappen, nimmt er die Spiele in Paris ins Visier
In Corona-Zeiten greift Yannik Rüddenklau auch mal zur Bratpfanne statt zum Tischtennisschläger und spielt auf dem Wohnzimmertisch über ein aus Konservendosen aufgebautes Netz. Ein Video zum Schmunzeln des 23-jährigen, der im „Homeoffice“ im hessischen Westuffeln in der Nähe von Kassel nicht etwa neue Methoden präsentierte, um an der Technik zu feilen. „Ins Training werde ich das besser nicht einbauen, sonst gibt’s angesichts der Haltung Ärger mit der Physiotherpeutin“, sagt Rüddenklau lachend.
Zum Lachen war ihm in den vergangenen Wochen nicht immer zumute. Eigentlich wollte er gerade beim Qualifikationsturnier in Slowenien um ein Ticket für die Paralympics kämpfen. Darauf war die gesamte Planung ausgerichtet. Doch Corona machte einen Strich durch die Rechnung. Turnier abgesagt, Paralympics verlegt – Yannik Rüddenklau muss neu organisieren und hoffen, dass 2021 ein Qualifikationsturnier stattfinden kann. Für ihn ist es der letzte Strohhalm, um den Traum von den Paralympics im kommenden Jahr verwirklichen zu können. „Ich muss abwarten, wie, wann und ob es weitergeht. Alle Entscheidungen sind erst einmal vertagt und viele Variablen offen.“ Die Chancen für eine Teilnahme 2021? „Sehr schwer zu sagen. Ich werde jedenfalls alles geben, um meine Chance aufrechtzuerhalten“, betont Rüddenklau.
Achtungserfolg bei der WM 2018: An der Weltspitze geschnuppert
Bei der Weltmeisterschaft 2018 setzte der Spieler der TTG Büßfeld ein Ausrufezeichen, schaffte den Einzug ins Viertelfinale und schnupperte sogar zwischenzeitlich an einer Medaille. Doch nach fünf Sätzen musste er sich der damaligen Nummer zwei der Welt geschlagen geben. „Natürlich war ich ein bisschen enttäuscht, dass ich das Halbfinale so knapp verpasst habe. Andererseits hat es mich auch sehr motiviert. Denn ich habe bei der WM erlebt, was möglich sein kann, wenn ich spielerisch und mental mein bestes Tischtennis zeige.“ Yannik Rüddenklau hat Blut geleckt. Und er weiß: „Ich bin noch nicht am Höhepunkt meines Leistungsvermögens angkeommen. Allerdings ist es kein Selbstläufer, Körper und Kopf müssen unbedingt mitspielen.“
Dabei machte ihm der Körper in den vergangenen Jahren immer mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Mehrere Verletzungen warfen ihn zurück. Darüber hinaus musste er seine Prothese wechseln. „Früher habe ich mit einer Alltagsprothese gespielt, dann wurde allerdings eine Umstellung notwendig, früher als geplant. Seitdem habe ich eine zusätzliche Prothese nur für Tischtennis – damit waren aber die Muskeln erstmal überfordert und der Stumpf hat Probleme gemacht“, erklärt Rüddenklau und fügt an: „Es hat über ein Jahr gedauert, bis ich mich richtig daran gewöhnt habe. Das war eine lange, harte Zeit mit vielen Besuchen beim Arzt und der Physiotherapeutin.“
Linker Unterschenkel musste aufgrund einer Krebserkrankung früh amputiert werden
Ein Leben ohne Prothese kennt Yannik Rüddenklau nicht. Aufgrund einer Krebserkrankung musste ihm mit anderthalb Jahren der linke Unterschenkel amputiert werden. „Ich bin mit Prothese aufgewachsen und kenne es nicht anders. Es war von Anfang an normal für mich. Für mein Umfeld war die Diagnose damals bestimmt ein Schock, ich habe allerdings keine Erinnerungen daran und weiß es nur aus Erzählungen.“ Mit vier Jahren kickte der kleine Yannik im Fußballverein, schon im Kindergartenalter sei die Prothese selbstverständlich gewesen und daran hätte sich bis heute nichts geändert. „Ich habe halt ein Bein, das man abnehmen kann. Das eine Bein funktioniert eben besser als das andere, aber ich spiele ja auch mit der rechten Hand besser Tischtennis als mit links. Ich habe nicht das Gefühl, behindert zu sein.“ Starke Worte eines starken Typen, der als Kind und Jugendlicher wie seine Altersgenossen ebenfalls alles ausprobierte – nur eben mit Prothese. „Auf Bäume klettern war nicht so meine Stärke, aber das ist ja halb so wild“, sagt Rüddenklau augenzwinkernd. Er sei dankbar dafür, dass der Krebs bis auf die Prothese keine weiteren Spuren hinterlassen hätte und er sein Leben so wie jetzt führen könne.
Zum Tischtennis kam Rüddenklau im Alter von neun Jahren. „2006 war das, durch die Mini-Meisterschaften in der Schule“, erinnert sich der Student der Wirtschaftswissenschaften. „Es lief direkt ganz gut und hat mir viel Spaß gemacht.“ Über die Organisatorin kam auch der Kontakt zum Behindertensport zustande. Anfangs war Rüddenklau parallel dazu weiter im Fußballverein aktiv, ehe dann die Entscheidung auf Tischtennis fiel. Heute spielt der 23-Jährige für den TTC Hofgeismar in der Hessenliga, der sechtshöchsten Spielklasse in Deutschland, auch gegen Gegner ohne Behinderung, hinzu kommen die Aktivitäten rund um die Para Tischtennis-Nationalmannschaft.
Seine bislang weiteste Reise führte ihn 2018 zu einem Turnier nach China und einem Trainingslager nach Tokio. „Von der Stadt habe ich leider fast gar nichts gesehen, nur den Flughafen und das Trainingszentrum. Vor der Stadtrundfahrt habe ich mich im Training am Knie verletzt und konnte nicht mit“, berichtet Rüddenklau, der Mitglied der Nachwuchseliteförderung von der Deutschen Sporthilfe und der DFL-Stiftung ist. So bleibt die Hoffnung auf eine erneute Reise in Japans Hauptstadt im kommenden Jahr. „Wenn ich von meinen Teamkollegen die Geschichten von den Spielen 2012 in London und 2016 in Rio höre, dann will ich das unbedingt auch erleben. Der Traum von den Paralympics besteht, seit ich mit dem Behindertensport in Berührung gekommen bin“, sagt Yannik Rüddenklau und ergänzt: „Sollte Tokio für mich zu früh kommen und die Qualifikation nicht klappen, werde ich wahrscheinlich trotzdem noch einmal angreifen. Ich bin ja noch jung.“