Rollstuhlbasketball: Auch mehrere deutsche Athletinnen und Athleten werden noch überprüft und könnten nicht teilnahmeberechtigt an den Paralympics sein – Ursache ist eine Neustrukturierung der Klassifizierung gemäß den Vorgaben des IPC-Code
Viel Unruhe hat es in den vergangenen Monaten rund um die Sportart Rollstuhlbasketball gegeben – abseits des Spielfeldes. Im Kern der Diskussion zwischen Internationalem Paralympischen Komitee (IPC) und dem Internationalen Rollstuhlbasketballverband (IWBF) steht die Frage, welche körperlichen Beeinträchtigungen auf internationaler Wettkampfebene klassifizierbar sind. Nun gibt es erste Erkenntnisse: Der IWBF hat den betroffenen Nationen eine erste Mitteilung gegeben, welche Athletinnen und Athleten klassifizierbar sind oder künftig nicht mehr an den Paralympics teilnahmeberechtigt sind – dies bereits mit Blick auf die ins Jahr 2021 verschobenen Spiele in Tokio, obwohl auch diese Athleten zur Qualifikation beigetragen haben. Eine Ungerechtigkeit, sagen Präsident Friedhelm Julius Beucher und Vizepräsident Dr. Karl Quade vom Deutschen Behindertensportverband (DBS), schließlich dürften die Streitigkeiten der internationalen Verbände nicht auf dem Rücken der Sportlerinnen und Sportler ausgetragen werden. Mit Blick auf die deutschen Nationalmannschaften geht die Hängepartie vorerst weiter: Bei mehreren Athletinnen und Athleten steht die Entscheidung derzeit noch aus, vier Sportler wurden nach Überprüfung erfolgreich klassifiziert.
Hintergrund: Nachdem der Internationale Rollstuhlbasketballverband den 2015 von der Mitgliederversammlung des Internationalen Paralympischen Komitees verabschiedeten und veröffentlichten Klassifizierungs-Code in der vorgegebenen Zeit (bis zum 1. Januar 2018) nicht umgesetzt hatte, setzte das IPC dem IWBF Anfang des Jahres eine letzte Frist. Bis zum 29. Mai 2020 mussten alle Athletinnen und Athleten der Klassifizierungen 4,0 und 4,5, letztere haben sogenannte „Minimalbehinderungen“ wie bspw. Knietraumata, erneut begutachtet und entsprechend der IPC-Regularien klassifiziert werden. Sportler, die nach Vorlage der Untersuchungsergebnisse keine klassifizierbare Beeinträchtigung aufweisen, gelten für zukünftige Paralympische Spiele sowie auch bei Welt- und Europameisterschaften des IWBF als nicht spielberechtigt. Gleichzeitig hat das IPC die traditionsreiche Para Sportart Rollstuhlbasketball vorläufig aus dem Programm der Paralympischen Spiele 2024 in Paris gestrichen.
Vorausgegangen war der Entscheidung eine langwierige und letztlich ergebnislose Diskussion zwischen den beiden internationalen Sportverbänden. Mit Blick auf die Art der Behinderung, die zur Teilnahme am paralympischen Rollstuhlbasketball berechtigt und für alle paralympischen Sportarten gleich ist, konnte keine Einigkeit erzielt werden. Die Art der Behinderung wird im neuen Klassifizierungs-Code vorgegeben, die Mitglieder des IPC, so also auch der IWBF, hatten sich verpflichtet, dies entsprechend in ihren Regeln umzusetzen. Der IWBF vertritt dagegen die Philosophie, den Sport auch für Menschen mit anderen (geringeren) Beeinträchtigungen zu öffnen. Der Klassifizierungs-Code gilt allerdings übergreifend für alle Sportarten, die zum Programm der Paralympischen Spiele gehören bzw. eine Aufnahme anstreben.
Das Dilemma: Der IWBF ist der einzige internationale Verband, der die beschlossenen Vorgaben aus der Mitgliedsversammlung noch nicht umgesetzt hat, während das IPC auf eine Umsetzung bei den Spielen in Tokio drängt. Betroffen von diesen Versäumnissen sind nun die Athletinnen und Athleten, die nach dem Klassifizierungs-Code nicht mehr spielberechtigt sind. „Das ist aus heutiger Sicht unverantwortlich gegenüber der Lebensplanung der Athletinnen und Athleten, die sich auf dieses Großereignis vorbereiten und ihre berufliche wie private Situation darauf ausgerichtet haben. Es kann nicht sein, dass die Sportler die Leidtragenden der Sprachlosigkeit zweier internationaler Verbände sind“, betont DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher.
Auch wenn der Internationale Rollstuhlbasketballverband seine Hausaufgaben in der Vergangenheit nicht ausreichend gemacht hätte, sagt Vizepräsident Leistungssport Dr. Karl Quade, müsse zumindest mit Blick auf die Spiele in Tokio eine Lösung im Sinne der Athletinnen und Athleten gefunden werden. „Die Sportlerinnen und Sportler, die die Qualifikation für die Spiele geschafft haben, darf man nicht außen vor lassen. Hätte der IWBF den Zeitplan zur Umsetzung des Klassifizierungs-Codes eingehalten, wären auch die Qualifikationen für die Spiele in Tokio schon unter den neuen Bedingungen erfolgt. Da dies aber nicht der Fall war, darf man die aktuelle Situation nicht den Sportlern anlasten. Trotz der verhärteten Fronten muss ein Weg gefunden werden, dass in Tokio auch die Athleten letztmalig dabei sein dürfen, die nach IPC-Code nicht mehr klassifizierbar sind“, fordert Quade und fügt an: „Schließlich funktioniert dieser Weg im Rollstuhltennis, wo es eine ähnliche Problematik gab.“
Mehrere Athletinnen und Athleten aus den deutschen Nationalmannschaften werden noch überprüft, ob sie klassifizierbare Beeinträchtigungen im Sinne des IPC-Klassifizierungs-Code aufweisen. Diese Entscheidungen gilt es abzuwarten. Erfreulich ist hingegen, dass vier Sportler erfolgreich klassifiziert wurden und somit weiterhin auf internationaler Wettkampfebene spielberechtigt sind.
Unabhängig davon fordert der DBS die beteiligten internationalen Verbände dazu auf, im Sinne der Athletinnen und Athleten zu einem konstruktiven Austausch zurückzukehren und eine faire Lösung zu finden – vor allem mit Blick auf die Spiele in Tokio. „Auch wenn die Position des IPC von einheitlichen und sportartübergreifenden Teilnahmeberechtigungen an den Paralympics generell nachvollziehbar ist, so darf dies nicht dazu führen, dass man Athletinnen und Athleten kurz vorher den Traum zerstört, auf den sie sich nun schon fast vier Jahre vorbereiten. Menschen im laufenden paralympischen Zyklus von den Spielen auszuschließen, ist nicht hinnehmbar“, sagt DBS-Präsident Beucher.